
Leon Herf
Während zahlreiche Unternehmen und Firmen ihre Mitarbeiter nach Möglichkeit (wieder) ins Home Office schicken oder Kurzarbeit anmelden, gibt es einen großen und essentiellen Sektor, neben anderen systemrelevanten Branchen, der dies nicht kann: Das Gesundheitssystem. In Deutschland haben wir – im Vergleich mit unseren europäischen Nachbarn – ein gut ausgestattetes und funktionierendes Gesundheitssystem. Doch eine Pandemie wie im aktuell vorliegenden Fall erreicht Dimensionen, wie sie bei vorangegangenen Ereignissen (SARS (2002), H5N1 (2005), H1N1 (2009), MERS (2012), Ebola (2014)) als nicht denkbar erschienen.
Das Gesundheitssystem ist dabei in doppelter Hinsicht betroffen, so gilt es zum einen infizierte Patienten zu versorgen, aber auch mit knapper werdenden Personalressourcen zurechtzukommen, da hier von einer erhöhten Infektionswahrscheinlichkeit ausgegangen werden muss.
Zusätzlich kam während der ersten Welle die Belastung durch die Nicht-Verfügbarkeit von Schutzausrüstung, Material und Medikamenten hinzu, da auch Produktions- und Lieferketten durch die Pandemie beeinträchtigt sind. In den letzten Monaten haben wir daraus gelernt und die Ressourcen weitestgehend aufgefüllt, um uns auf die gerade stattfindende zweite Welle vorzubereiten-
In meiner Bachelorarbeit habe ich mich mit den Auswirkungen von Pandemien auf den Gesundheitssektor beschäftigt, ich habe mit Bezug auf die aktuelle Situation, die bisherigen Vorbereitungsmaßnahmen hinterfragt. Ziel sollte es sein, am Ende dieser Arbeit die Relevanz von Pandemieplänen aufzuzeigen und die darin beschrieben Maßnahmen zu erläutern und auf ihre Anwendbarkeit, sowie Tauglichkeit zu überprüfen und zu erörtern.
Unser Gesundheitssystem war schon vor Corona so ausgestattet, dass im Fall einer Influenzavirus-Pandemie die Möglichkeit besteht, Maßnahmen zu ergreifen, die zu einer Verlangsamung der Ausbreitung beitragen. Beispielsweise die Impfpflicht, welche nach § 20 Abs. 6 IfSG erlassen werden kann und die während der H1N1-Pandemie 2009 zum Tragen kam. Darüber hinaus beinhaltet der Nationalen Pandemieplan, welcher Federführend vom Robert Koch-Institut (RKI) entworfen worden ist, eine Vielzahl von Empfehlungen, wie einer Pandemie konkret begegnet werden kann.
Bedingt durch den Föderalismus in Deutschland und der Tatsache, dass sich eine Pandemie unterschiedlich stark ausbreitet, ist es für viele Bürgerinnen und Bürger nicht nachvollziehbar, zu welchem Zeitpunkt welche Schutzmaßnahmen gerade gelten. Hier entscheiden die jeweiligen Länder und passen dazu ihr Konzept an, indem beispielsweise Versammlungen mit einer größeren Anzahl von Menschen verboten werden und eine Pflicht zum Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen erlassen wird. Auch der temporäre Lockdown zählt zu diesen Maßnahmen dazu. Damit die Maßnahmen zur Reduzierung der Neuinfektionen zielgerichtet eingesetzt werden können, werden zuverlässige Daten benötigt. Aus diesem Grund kommt der Surveillance (dt. Überwachung) von Krankenhäusern eine große Bedeutung zu. Hierzu wurde eigens eine Arbeitsgruppe auf der Ebene der obersten Gesundheitsbehörden gegründet. Ziel ist es, so viele relevante Daten wie möglich zu sammeln, um die Ausbreitung mit all ihren Modalitäten zu erfassen. Aufgrund dieser Daten lässt sich somit das Ausmaß einer Pandemie bemessen. Eine ganzheitliche und kontinuierliche Erfassung der Daten im Sinne der Surveillance ist nur durch den § 15 Abs. 1 IfSG möglich, der eine Möglichkeit zur Anpassung der Meldepflicht im Pandemiefall vorsieht.
Für die vielen Kliniken und Krankenhäuser im Land besteht die Herausforderung jedoch darin, ihre elektiven Operationen herunterzufahren, um so Kapazitäten zu schaffen, die die gestiegene Anzahl an pandemiebedingten Erkrankten auffangen zu können. Gleichzeitig ist es für viele Häuser aus wirtschaftlichen Gründen nicht ohne weiteres möglich, für einen beliebig langen Zeitraum auf geplante Eingriffe zu verzichten.
Influenza-Erreger, die akute respiratorische Erkrankungen hervorrufen nehmen darauf keine Rücksicht, im Gegenteil. Dem freigesetzten Personal, welches in elektiven Stationen eines Krankenhauses arbeitet und keine Patienten versorgt, weil entsprechende Behandlungen ausgesetzt sind, steht gleichzeitig ein höherer Bedarf an Fachkräften, die sich um intensivpflichtige Patienten kümmert, gegenüber. Nun lassen sich aber nicht alle Mitarbeiter*innen in Krankenhäusern zu Intensivpflegepersonal weiterbilden und auch normale Erkrankungen, die nicht im Zusammenhang mit der Pandemie stehen, wollen auch noch versorgt werden. In der Auseinandersetzung mit dieser Thematik fällt auf, dass Vorsorge nicht gleich Vorsorge ist und das zum Schaffen von Resilienzen mehr gehört, als ein Lager voller Schutzausrüstung und Beatmungsgeräten, die auf ihren Einsatz warten.
Wichtig ist, nicht zu verharren und sich auf bestehenden Konzepten auszuruhen. Ein Hinterfragen von Entscheidungen, eine anschließende Bewertung von Prozessen sowie die Anpassung mancher Maßnahmen, tragen dazu bei, auch in Zukunft vor der Sprichwörtlichen Lage zu bleiben. Stets geleitet von der Frage, was kann noch kommen und worauf sind wir noch nicht vorbereitet.